Speak-up-Kultur: 10 Gründe, warum Mitarbeiter Missstände NICHT melden

Was hindert Mitarbeiter daran, Fehlverhalten und Missstände im Unternehmen zu melden? Ein Blick auf die Gründe und Tipps für eine offene Speak-up-Kultur.

Moritz Homann
Auf einen Blick

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein: wenn man merkt, dass auf der Arbeit etwas schief läuft, dann meldet man es. Doch nicht alle tun dies. Eine IBE-Studie zeigt, dass rund 58 % der Mitarbeiter in Deutschland und der Schweiz bereits ihre Bedenken zu möglichen Missständen gemeldet haben. Damit liegen beide Länder zwar im oberen Drittel, doch es ist noch viel Potential nach oben da. Bleibt die Frage: Was hindert Mitarbeiter daran, sich zu Wort zu melden?

Wir haben Studienergebnisse und unsere Erfahrungen genutzt und zehn Gründe gesammelt, warum Mitarbeiter Bedenken haben, Fehlverhalten zu melden. Außerdem geben wir Tipps, wie Unternehmen internes Whistleblowing fördern und eine Speak-Up-Kultur aufbauen können.

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1. „Ich dachte, es wäre nicht meine Aufgabe“

Laut der IBE-Umfrage melden insbesondere Berufsanfänger und neue Mitarbeiter selten ihre Bedenken. Compliance-Beauftragte und HR-Verantwortliche sollten deshalb regelmäßig darüber informieren, dass das Melden von Missständen in den Verantwortungsbereich jedes Mitarbeiters fällt – unabhängig von der Dauer der Firmenzugehörigkeit und der Position. Onboarding-Veranstaltungen, Schulungen, Feedback-Gespräche und Team-Besprechungen sind hierfür gute Gelegenheiten.

2. „Ich dachte, es wäre üblich“

Immer wieder kommt es vor, dass sich Fehlverhalten und unethische Praktiken in Unternehmen einschleichen und diese sogar als normal und üblich wahrgenommen werden. Damit der ethische Kompass nicht verloren geht, müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter darüber informieren, wie akzeptables Verhalten aussieht und was gemeldet werden muss. Richtlinien und Schulungen helfen dabei, alle Mitarbeiter mit einer soliden Entscheidungsgrundlage auszustatten. Mithilfe eines durchdachten Richtlinien-Managements lässt sich nachprüfen, welche Mitarbeiter, die internen Regeln und regulatorischen Anforderungen gelesen und bestätigt haben.

3. „Ich dachte, dass sowieso nichts dagegen unternommen wird“

Wenn ein Mitarbeiter den Mut fasst, einen Verdacht zu melden, kann es entmutigend sein, wenn er oder sie kein Feedback zum Ergebnis der Meldung erhält. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihre Bedenken ernst genommen und untersucht werden. Unsere Umfrage zeigt, dass nur etwa 30 Prozent der Unternehmen den Hinweisgeber darüber informieren, welche Konsequenzen sein Hinweis auf einen Missstand hatte. Um die Vertraulichkeit der beteiligten Personen zu gewährleisten, kann das Ergebnis der Untersuchungen zum Beispiel als anonymisierte Fallstudie oder direktes Feedback mitgeteilt werden.

4. „Ich dachte damals, dass das Problem nicht so schlimm sei“

Oftmals bestehen Unsicherheiten darüber, was gemeldet werden sollte und zu welchem Zeitpunkt. Es liegt deshalb in der Verantwortung des Unternehmens, eine Kultur zu fördern, in der auch triviale Bedenken vorgebracht werden können. Denn lieber geht man einmal zu oft auf Nummer sicher, als Reputationsschäden oder finanzielle Einbußen für das Unternehmen zu riskieren. Mithilfe eines anonymen oder vertraulichen Meldekanals können Mitarbeiter Kontakt zu Compliance- oder HR-Verantwortlichen aufnehmen und dort erst einmal unverbindlich nachfragen, ob im jeweiligen Fall ein ethischer oder rechtlicher Verstoß vorliegt.

5. „Ich hatte Angst, dass eine Meldung für schlechte Stimmung am Arbeitsplatz sorgen würde“

Die Arbeitsgesetze in Europa versuchen Hinweisgeber vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Kritisch kann es jedoch werden, wenn ein Mitarbeiter Kollegen durch seine Meldung belastet. Fehlt es im Unternehmen an einer offenen Meldekultur, kann das Klima gegenüber Hinweisgebern schnell feindlich werden. Vertrauliche und anonyme Meldekanäle ermöglichen es, Bedenken diskret hervorzubringen, wodurch die Gefahr für Vergeltungsmaßnahmen sinkt. Es ist dennoch ratsam im Blick zu behalten, wie es dem Hinweisgeber nach der Meldung des Vorfalls geht. Wichtige Kennzeichen können zum Beispiel sein: Arbeitet der Hinweisgeber auch nach 12 Monaten noch im Unternehmen? Wurde er degradiert oder befördert? Musste er sich für einen längeren Zeitraum krankschreiben lassen?

6. „Ich dachte, die Führungsebene weiß über das Problem schon längst Bescheid“

Oftmals herrscht die Annahme, dass der Vorstand oder das Top-Management über alle unethischen Praktiken im Unternehmen Bescheid weiß. Allerdings suchen gerade die Vorstandsmitglieder oder das Management nach Möglichkeiten, um noch schneller über Risiken im Unternehmen informiert zu werden. Mitarbeiter aller Hierarchiestufen können dem Management wertvolle Einblicke in mögliche Risikogebiete bieten, indem sie Hinweisgebersysteme nutzen. Ausgeklügelte Fallmanagementsysteme liefern dabei detaillierte Berichte, die das Management über Probleme auf dem Laufenden halten.

7. „Ich hatte Angst, dass man mich für illoyal und teamunfähig hält“

Niemand möchte als illoyal wahrgenommen werden, wenn er sich kritisch zu Wort meldet. Deshalb ist es wichtig, zu kommunizieren, dass das Melden von Missständen ein wesentlicher Bestandteil des langfristigen Unternehmenserfolgs ist. Schließlich schützt eine offene Kultur vor Reputationsschäden und finanziellen Verlusten.

8. „In meinem Unternehmen gab es kein anonymes Meldesystem“

Anonyme Kanäle sind ein sicherer Weg, um Missstände ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen und Schuldzuweisungen zu melden. Dadurch sinkt die Hemmschwelle für Hinweisgeber. Das zeigen auch die Ergebnisse des Whistleblowing Reports 2019: Bieten Unternehmen eine anonyme Übermittlung von Missständen an, wird diese Möglichkeit von knapp 60 Prozent der Meldenden wahrgenommen. Dennoch haben einige Unternehmen Bedenken, dass durch die Anonymität die Untersuchung eines Falls erschwert wird. Diese Sorge ist jedoch unbegründet: Digitale Hinweisgebersysteme bieten Mitarbeitern nicht nur eine sichere und anonyme Übermittlung von Hinweisen, sondern erlauben auch eine vertrauliche Zwei-Wege-Kommunikation, über die beispielweise Rückfragen für die Untersuchung des Falls übermittelt werden können.

9. „Ich dachte, ich könnte meinen Job gefährden“

Laut der „IBE Ethics at Work“-Umfrage ist die Angst vor einer Entlassung der häufigste Grund, warum Mitarbeiter in Italien, Spanien, der Schweiz und Großbritannien stumm bleiben. Das Melden von Missständen bleibt deshalb für viele Mitarbeiter ein schwerer Schritt.

Doch es geht auch anders: In der Luftfahrt-Industrie wird bereits großer Wert auf eine offene und faire Meldekultur gelegt. Dadurch wird ein Umfeld geschaffen, in dem Menschen Sicherheitsbedenken melden können, ohne Angst vor Schuldzuweisungen oder Vergeltungsmaßnahmen zu haben. Auch andere Branchen ziehen mittlerweile nach.

Unternehmen stehen in der Pflicht, ihren Mitarbeitern zuzusichern, dass das Melden von Missständen keinen negativen Einfluss auf die Karriere des Hinweisgebers hat. Darüber hinaus bieten jüngste Gesetzesinitiativen wie die EU-Richtlinie rechtlichen Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen.

10. „Ich wusste nicht, an wen und wie ich Missstände melden kann“

Kommunikation ist alles! Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass rund ein Drittel der Unternehmen einmal im Jahr auf ihre Meldekanäle hinweisen. Kreative Kommunikationsmaßnahmen wie Give-Aways, Videos oder digitale Banner helfen dabei, die Bedeutung einer offenen Meldekultur immer wieder ins Bewusstsein der Mitarbeiter zu holen. Außerdem sollte die Rolle von Hinweisgebern sowie ein Überblick über die verschiedenen Meldewege im Code of Ethics, Intranet und dem Onboarding-Prozess verankert werden.

Leitfaden zur Einführung von Hinweisgebersystemen

Wie Sie erfolgreich ein Hinweisgebersystem in Ihrer Organisation einführen.

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Moritz Homann
Managing Director Corporate Compliance | EQS Group
Moritz Homann verantwortet beim Münchner Technologieanbieter EQS Group den Produktbereich Corporate Compliance. In dieser Funktion betreut er die strategische Entwicklung digitaler Workflow-​Lösungen, die auf die Bedürfnisse von Compliance-​Beauftragten auf der ganzen Welt zugeschnitten sind.
Hinweisgebern haftet häufig ein negatives Image an – doch Whistleblower sind keine Denunzianten oder Verräter. Unternehmen können sogar von ihnen profitieren.
Der Aufsichtsrat ist für die Kontrolle und Beratung des Vorstands zuständig und muss sich im Zuge neuer Gesetze auch mit Hinweisgeberschutz und Hinweisgebersystemen auseinandersetzen. Wir zeigen auf, welche Rolle der Aufsichtsrat bei diesen Themen einnehmen kann.