Was der Betriebsrat über Compliance und Hinweisgeberschutz wissen sollte

Ob Hinweisgebersystem oder Datenerfassung im Unternehmen: Betriebsräte haben beim Thema Compliance Mitbestimmungsrechte und -pflichten. Wir geben eine Einführung in das Thema Hinweisgeberschutz für Betriebsräte.

Marco Hüsener
Auf einen Blick

Ethisches und rechtskonformes Verhalten ist nicht allein Sache der Unternehmensführung, die sich vor Gesetzgebern und Regulierungsbehörden, Stakeholdern, Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit verantworten muss. Der Betriebsrat im Privatsektor bzw. der Personalrat im öffentlichen Sektor hat Pflichten, um die Interessen der Belegschaft zu schützen: etwa, wenn sie auf Missstände und Fehlverhalten im Unternehmen hinweisen. Wie wird mit den Tipps umgegangen, welche Daten werden erfasst, wie werden Mitarbeitende vor Repressalien geschützt? Wir geben eine Einführung rund um die Themen Hinweisgeberschutz und  Hinweisgebersystem für Betriebsräte.

Was ist überhaupt Compliance?

Compliance meint die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien sowohl vom Gesetzgeber, von Regulierungsbehörden als auch unternehmensinterne Vorgaben. Compliance-Management ist der Vorgang, mit dem ethisches und gesetzeskonformes Verhalten sichergestellt wird und der im Falle von Fehlverhalten auch die Verstöße untersucht. Ein Hinweisgebersystem, mit dem Mitarbeiter auf Missstände aufmerksam machen können, ist eine zentrale Säule der Compliance. Indem Hinweise auf Fehlverhalten intern zur Aufmerksamkeit gebracht und gelöst werden, wird nicht nur das Unternehmen vor Schäden wie Strafverfahren, Strafzahlungen oder Rufschäden geschützt – ein Hinweisgebersystem, das solche Meldungen ermöglicht, sichert auf diese Weise auch Arbeitsplätze. 

Was ist ein Hinweisgebersystem?

Hinweisgebersysteme geben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit, auf Fehlverhalten innerhalb des Unternehmens aufmerksam zu machen. Sie werden deshalb auch als Whistleblower bezeichnet. Die Meldungen können analog, telefonisch oder digital über ein Portal oder per E-Mail abgegeben werden. Üblich ist heute die digitale Version, bei der Mitarbeitende über ein internetbasiertes System Meldungen einreichen können.  

Warum brauchen Unternehmen ein Hinweisgebersystem?

Sowohl die Europäische Union als auch die deutsche Regierung haben bereits mehrere Gesetze auf den Weg gebracht, die Compliance für Unternehmen zur Pflicht machen: Vom EU-Lieferkettengesetz, das Umweltschutz- und Menschenrechtsstandards für EU-Unternehmen sichern soll, über den Deutschen Corporate Governance Kodex und die ISO 37301, die internationale Standards für ein Compliance Management System festlegt.  

In der Abstimmung ist derzeit das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das im Juli dieses Jahres in Form eines Regierungsentwurfes vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Das Gesetz könnte demnach Mitte September verabschiedet und Dezember 2022 in Kraft treten. Das neue Hinweisgeberschutzgesetz ist jedenfalls ein guter Anlass, um die vorhandenen Betriebsvereinbarungen in Bezug auf IT und Kommunikation noch einmal zu überprüfen und ggf. zu aktualisieren. 

Auf europäischer Ebene gibt es bereits eine Direktive. Die EU-Länder sollten sie eigentlich bis Ende 2021 in nationales Recht übertragen, doch Deutschland – und mit ihm zahlreiche andere Länder – haben die Frist ohne nationale Gesetze verstreichen lassen. 

Für Unternehmen lohnt sich die Einrichtung eines Hinweisgebersystems auch deshalb, um eventuelle Missstände so früh wie möglich zu bemerken und ihnen nachgehen zu können – bevor ein Problem so groß wird, dass es Strafverfolgungs- oder Regulierungsbehörden auf den Plan ruft und womöglich das Überleben der Organisation gefährdet.  

Ein weiterer Mehrwert von Hinweisgebersystemen ist jedoch eher ein wertebasierter, nämlich die Förderung einer offenen Unternehmenskultur. Dies ist eine große Chance für Unternehmen für mehr Transparenz und Vertrauen der Mitarbeitenden, da interne Missstände nicht unter den Teppich gekehrt, sondern proaktiv Unterstützung für eine integre Unternehmenskultur betrieben wird. 

Warum muss sich der Betriebsrat mit dem Hinweisgeberschutzgesetz befassen?

Laut Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) soll der Betriebsrat sicherstellen, dass Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zugunsten der Arbeitnehmenden eingehalten werden. Das Hinweisgeberschutzgesetz gehört ebenfalls dazu: Es soll garantieren, dass Mitarbeitende nach einem Hinweis über Fehlverhalten keinen Repressionen innerhalb des Unternehmens ausgesetzt sind.  

Sollte der Betriebsrat bereits in die Einführung eines Hinweisgebersystems eingebunden werden?

Ja und je früher die Unternehmensführung den Betriebsrat hinzuzieht, desto besser. Das Betriebsverfassungsgesetz (§ 80 Absatz 2 Satz 1) verpflichtet die Unternehmensführung ohnehin dazu, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über Vorgänge zu unterrichten, die seine Aufgaben tangieren. Mit Hilfe der frühen Einbindung des Betriebsrats soll dieser in eigener Verantwortung prüfen können, ob Beteiligungsrechte bestehen oder ob sonstige Aufgaben wahrzunehmen sind.

In Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach Paragraf 87 des Betriebsverfassungsgesetzes. Anordnungen, die dieses sogenannte Ordnungsverhalten betreffen, sind mitbestimmungspflichtig. Die Einführung eines Hinweisgebersystems weitet bestehende Hinweispflichten aus und führt Regelungen bezüglich des konkreten Meldeverfahrens ein, wodurch das Ordnungsverfahren betroffen ist. Daher muss der Betriebsrat einbezogen werden.

Kommt es außerdem zu einer systematischen Datenerfassung in Datenbanken, z.B. bei größeren internen Untersuchungen, hat der Betriebsrat ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht nach §87 BetrVG.

Generell gelten Hinweisgebersysteme, darunter zählen z. B. Telefon, E-Mail oder Software-Lösungen, nach § 87 BetrVG als eine Art Verhaltens- und Leistungskontrolle, die entsprechend das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach sie ziehen: Denn durch die Einführung eines technischen Systems könnte zumindest das Verhalten von Mitarbeitenden überwacht werden, daher tritt der Betriebsrat hier als Interessensvertreter der Arbeitnehmenden auf. Konkret betrifft das beinahe jedes gängige Hinweisgebersystem: Etwa, wenn die Telefonnummer oder die Nachricht des Mitarbeiters bei einer telefonischen Meldung aufgezeichnet wird. Oder wenn bei einer Meldung per E-Mail bzw. über ein Portal die IP-Adresse des Absenders gespeichert werden.

Auch unabhängig von den bestehenden Mitbestimmungsrechten empfiehlt es sich durchaus, den Betriebsrat frühzeitig einzubinden, um das Vertrauen der Belegschaft in das Hinweisgebersystem zu stärken und deutlich zu machen, dass es sich nicht eine Aufforderung zur Denunziation handelt.

Kann der Betriebsrat mitbestimmen, wer die Compliance-Meldestelle betreut?

Paragraf 99 des Betriebsverfassungsgesetz sieht eine Mitwirkung des Betriebsrats bei der Einstellung einer Person oder der Definition einer Aufgabenerweiterung vor. Insofern kommt er auch bei der Einstellung oder Versetzung eines Mitarbeiters ins Spiel, der als Compliance-Manager das Hinweisgebersystem betreut.

Laut dem Entwurf für das Hinweisgeberschutzgesetz muss der Arbeitgeber auch die regelmäßige Schulung gewährleisten, die Compliance-Officer für die Betreuung des Hinweisgeberkanals durchlaufen. Auch das tangiert den Aufgabenbereich des Betriebsrats: Er hat hier zwar kein Mitbestimmungs-, aber ein Vorschlagrecht.

Welche Anforderungen ergeben die Mitbestimmungspflichten?

§ 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG: Rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats,
damit dieser seine Aufgaben erfüllen kann.

§ 87 BetrVG: Mitbestimmungsrecht bei systematischer Datenerfassung in Datenbanken, z.B. bei größeren internen Untersuchungen.

§ 87 BetrVG: Mitbestimmung leitet sich durch Einwirkung auf Fragen der Ordnung im Betrieb und Verhalten der Arbeitnehmer ab. Weiterhin wird eine technische Einrichtung eingeführt, die objektiv geeignet ist das Verhalten der Arbeitnehmer zu messen.

§ 99 BetrVG: Personelle Maßnahmen: Mitwirkung des Betriebsrats bei der Einstellung einer Person oder bei der Definition einer Aufgabenerweiterung. Weiterhin Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen ggü. Hinweisgeber oder Beschuldigtem.

Wie sieht ein Hinweisgebersystem in der Praxis aus?

Webbasierte Systeme sind heute der Standard und seit vielen Jahren Best Practice. Ein interner, digitaler Meldekanal gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit, jederzeit und auch aus ausländischen Niederlassungen Meldungen über Fehlverhalten einzureichen.

Die Daten können über ein digitales Hinweisgebersystem verschlüsselt übertragen und mit einer standardisierten Eingabemaske erfasst werden. Neben Datensicherheit gewährt das System also Zeitersparnis und standardisiert die eingehenden Meldungen. Ein integrierter Nachrichtenkanal ermöglicht die Kommunikation zwischen Hinweisgebenden und den Hinweisbearbeitenden.

Die Systeme ermöglichen den Whistleblowern zudem, ihre Meldungen anonym abzugeben. Obwohl der Gedanke vielen Unternehmen zunächst Sorge bereitet, hat sich die anonyme Meldefunktion in der Praxis bewiesen: Die anonym eingehenden Hinweise sind in der Mehrheit seriös. Das belegt auch der “Benchmarking Report 2021”, eine umfassende Studie über die Nutzung von Hinweisgebersystemen und Compliance Software in Europa. Demnach geben 78 Prozent aller befragten Unternehmen an, dass der Anteil missbräuchlicher Meldungen bei unter zwei Prozent liegt. Bei 43 Prozent beläuft sich der Wert sogar auf weniger als ein Prozent.

Die Sichtung und Fallbearbeitung der Meldungen übernehmen die zuständigen Compliance-Mitarbeitenden bzw. die Meldestellen-Beauftragten, die das Hinweisgebersystem betreuen. Sie prüfen die eingegangene Meldung auf Plausibilität, können über das digitale Hinweisgebersystem eventuell Nachfragen beim Tippgeber stellen und dann intern ermitteln.

Was ist bei der Einführung zu beachten?

Gute Kommunikation ist entscheidend bei der Einführung eines Hinweisgebersystems. Ziehen Unternehmensführung und Betriebsrat hier an einem Strang, kann das Vertrauen der Mitarbeiter in das System gewährleistet werden – auch um zu verhindern, dass der Kanal missbraucht wird. Obwohl Praxiserfahrungen zeigen, dass der Anteil von Denunziationen über ein digitales Hinweisgebersystem minimal ist, hilft eine klare Kommunikation, um von Anfang an den richtigen Ton zu setzen.  

Dazu gehört, im Vorfeld über den Sinn und die Funktionsweise des Hinweisgebersystems aufzuklären. Das kann auf Betriebsversammlungen, durch Postsendungen, im Intranet oder am Schwarzen Brett erfolgen. Dazu gehört auch die klare Kommunikation, dass Tippgeber, die über das Hinweisgebersystem eine Meldung abgeben, keine Nachteile oder Repressalien zu befürchten haben.  

Das System selbst muss einfach zu bedienen sein und sollte Hinweisgebende problemlos durch einen strukturierten Meldungsabgabeprozess führen.  

Hilfreiche Tipps finden Sie in unserem kostenlosen White Paper.

Unsere Tipps zur Einhaltung der Anforderungen der Mitbestimmungspflichten

1. Generell: Betriebsrat frühzeitig unterrichten (§80 BetrVG) und „abholen“.

2. Regelung zur Nutzung von IT- und Kommunikationssystemen und Verarbeitung von Daten in Betriebsvereinbarung prüfen.

3. Bei Ernennung des internen Meldestellenbeauftragten prüfen ob es sich um eine Versetzung oder Aufgabenerweiterung handelt (§99 BetrVG).

4. Innerbetriebliche Schulungen, ob für Meldestellenbeauftragte oder Compliance-Schulungen für Beschäftigte, sind mitbestimmungspflichtig (§96, §97 BetrVG).

5. Individuelle arbeitsrechtliche Beratung einholen.

6. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat müsste vor der Umsetzung abgeschlossen werden.

Whistleblowing-Gesetze in der Europäischen Union

Ein Blick auf die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie in den EU-Mitgliedsstaaten

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Kontaktbild Marco Hüsener
Marco Hüsener
Senior Expert Corporate Compliance – EQS Group AG
Marco Hüsener ist seit über 5 Jahren im Bereich Whistleblowing tätig und unterstützt Unternehmen bei der Suche nach dem perfekten, maßgeschneiderten Meldesystem zur Bekämpfung von unethischem und illegalem Verhalten. Mit besonderem Fokus auf den Themen Sicherheit und Kundenorientierung, hilft er Behörden und Unternehmen aller Branchen bei der Implementierung und Optimierung ihres Hinweisgebersystems. Seine Erfahrung umfasst mehrere Stationen in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Produktentwicklung. Er hat einen starken beruflichen Hintergrund in der technischen Aufklärung und besitzt einen MBA in Innovation & Leadership.
Der Aufsichtsrat ist für die Kontrolle und Beratung des Vorstands zuständig und muss sich im Zuge neuer Gesetze auch mit Hinweisgeberschutz und Hinweisgebersystemen auseinandersetzen. Wir zeigen auf, welche Rolle der Aufsichtsrat bei diesen Themen einnehmen kann.
Wir verraten, was Sie über Whistleblower wissen müssen und beleuchten gesetzliche Grundlagen.