Herr Pfisterer, in den kommenden gut zwei Wochen blickt die Sportwelt nach China. Können Sie die Olympischen Winterspiele mit den Augen eines Fans verfolgen oder sitzt auch immer der Ethik-Experte mit vor dem Bildschirm?
In erster Linie ist da bei mir schon die Freude an den Wettkämpfen, ob das jetzt bei Olympia oder anderen Großereignissen ist. Ich habe den Sport aus verschiedenen Perspektiven erlebt. In jungen Jahren als Radfahrer auf Eliteniveau, später dann im Behindertensport als Teilnehmer bei Paralympics und Ski-Weltmeisterschaften. Aber auch als Mitglied im Stiftungsrat des Schweizerischen Paralympischen Komitees und im Vorstand des Behindertensportverbands und zuletzt, während über zehn Jahren, als Geschäftsführer bei Swiss Cycling. Diese verschiedenen Sichtweisen helfen mir sicher auch bei meiner heutigen Tätigkeit, vieles richtig einzuordnen. Aber natürlich gehen einem manchmal auch kritische Gedanken durch den Kopf, die sich der durchschnittliche Sportkonsument vielleicht nicht macht, dennoch überwiegt bei mir die Begeisterung für den ehrlichen Sport.
Als Leiter Ethikverstöße bei Swiss Sport Integrity müssen Sie sich allerdings vorwiegend mit den schwarzen Schafen beschäftigen. Die Stiftung führt die Tätigkeit der Stiftung Antidoping Schweiz weiter, behandelt nun neben Dopingverstößen aber auch ethisches Fehlverhalten. Was ist die Idee dahinter?
Wir haben mit der Abteilung für Ethikverstöße, die ich seit einigen Monaten verantworte, einen ganz neuen Aufgabenbereich und gehen damit noch einen Schritt weiter als die klassische Antidopingbehörde. Der Schweizer Sport hat nun eine unabhängige Anlaufstelle, um Missstände möglichst schnell aufzudecken und zu beseitigen.
Welche Vorteile hat diese Neuausrichtung?
Swiss Sport Integrity löst die Meldestellen von Swiss Olympic, das ist das Nationale Olympische Komitee der Schweiz, sowie der nationalen Sportverbände ab. Das ist für die Verbände eine große Entlastung, da sie nun ihre Ressourcen und Kompetenzen darauf konzentrieren können, ihre Sportarten zu fördern. Für die Aktiven ist es aber auch ein Gewinn, dass sie nun eine Anlaufstelle haben, die unabhängig ist und Anonymität sowie einen maximalen Schutz der Involvierten gewährleisten kann.
Mit dem neuen BKMS® Hinweisgebersystem können seit Jahresanfang über die Webseite www.sportintegrity.ch Missstände oder Verdachtsfälle gemeldet werden. Wie wurde das Angebot in den ersten Wochen angenommen?
Sehr gut, uns hat in etwa im Schnitt eine Meldung pro Tag erreicht, das waren nicht immer neue Fälle, sondern teilweise auch ergänzende Hinweise. Manchmal sind wir in der Ethik-Abteilung aber auch nicht der richtige Ansprechpartner, beispielsweise wenn die Hinweise das sportartenspezifische Reglement betreffen, dann leiten wir diese an die entsprechenden Organisationen weiter. In unseren Zuständigkeitsbereich fallen vor allem Diskriminierungen in allen Schattierungen, Fälle von physischem, psychischem oder sexuellem Missbrauch, aber auch strukturelle Defizite, die Ethik-Verstöße begünstigen.
Welche Rolle spielt es aus Ihrer Sicht, dass die Hinweisgebenden ihre Identität nicht preisgeben müssen?
Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, ein großer Teil der Erstmeldungen gehen bei uns anonym ein. Einige Hinweisgebende geben dann später, beim zweiten, dritten oder vierten Kontakt, wenn eine gewisse Vertrauensbasis gegeben ist, ihre Identität preis. In diesem Zusammenhang ist auch der geschützte Postkasten von großer Bedeutung, der eine anonyme Kommunikation ermöglicht. So können wir den Personen Rückmeldungen geben, was mit ihren Hinweisen geschieht, oder Fragen stellen, falls noch Einzelheiten unklar sind.
Wie sind die Abläufe, wenn ein Hinweis in Ihrem digitalen Postkasten eingeht?
Wir prüfen zunächst die Zuständigkeit, aber auch, ob die betroffenen Personen oder Organisationen Swiss Sport Integrity unterstellt sind. Dann versuchen wir mehr über den Sachverhalt herauszufinden. Wenn sich dabei ein Verdacht auf einen Verstoß gegen die Ethik-Statuten erhärtet, wird eine Untersuchung eröffnet und anschließend ein Bericht, gegebenenfalls mit einem Antrag auf eine Sanktion, an die Disziplinarkammer des Schweizer Sports gesendet, die das finale Urteil fällt. Dieses kann dann beim internationalen Sportgerichtshof CAS angefochten werden.
Sie haben bereits die Vorzüge eines digitalen Hinweisgebersystems herausgestellt. Welche weiteren Tools setzen Sie ein, um Ihre Fälle zu bearbeiten?
Das Hinweisgebersystem hat sich in der Tat bewährt, nicht nur weil es eine anonyme Kommunikation ermöglicht, sondern auch wegen der intuitiven Benutzerführung – sowohl für den Hinweisgebenden als auch für die Personen, die die Fälle bearbeiten oder erfassen. Wir prüfen derzeit auch ein Case-Management-Tool, um im Idealfall die Verfahren im Doping-Bereich und die Ethik-Verfahren in einer Plattform abzuwickeln und das Zusammenspiel der vielen verschiedenen Bereiche weiter zu vereinfachen.
Abschließend noch eine Frage: Sie selbst sind begeisterter Skifahrer, kommen aus einer Wintersportnation. Welche Wettbewerbe interessieren Sie bei den Olympischen Spielen in erster Linie?
Ich werde vor allem die Gelegenheit nutzen, mir Sportarten anzusehen, die sonst nicht so häufig im Fernsehen übertragen werden. Als Schweizer freue ich mich aber natürlich auch auf die Ski-Alpin- und Snowboard-Wettkämpfe und Ski Nordisch.
Whistleblowing Report
Umfassende Studie über Whistleblowing in europäischen Unternehmen